Wir brauchen wieder Fortschritt statt Rückschritt! BWV-Präsident Ökonomierat Eberhard Hartelt zum Erntedank

Liebe Mitglieder des landwirtschaftlichen Berufsstandes, sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger,

am kommenden Sonntag feiern wir Erntedank. Für uns Landwirte und Winzer ist dieser Tag ein Tag der Freude und der Dankbarkeit, auch wenn wir uns in einer Zeit großer Herausforderungen befinden. Das sichtbare Ergebnis der Arbeit auf dem Acker und im Weinberg erfüllt uns immer ein wenig mit Stolz, dass wir es trotz aller Unwägbarkeiten wieder geschafft haben, einen wichtigen Beitrag für das tägliche Leben aller zu leisten. Am Erntedankfest treten die schwierige Marktlage in vielen Bereichen, die Überregulierung der Produktion, die Auswirkungen des Klimawandels, die überbordende Bürokratie und die Sorge um den eigenen Betrieb kurz in den Hintergrund. Aber gerade mit Blick auf diese Themen würde ich mir wünschen, dass der Erntedank die Menschen außerhalb der Landwirtschaft dazu veranlasst, sich Gedanken über die Herkunft der Lebensmittel und die zukünftige Entwicklung der Erzeugung in unserem Land zu machen. Seitens des Berufsstandes angesprochene Probleme immer in die Rubrik „die Bauern jammern immer“ einzusortieren, wird den belegbaren Tatsachen in keinster Weise gerecht und trägt nicht zur Findung von dringend benötigten Lösungen bei.

Ich möchte an dieser Stelle einen Blick in die Vergangenheit werfen. Mitte des 19. Jahrhunderts traf eine stark wachsende Bevölkerung auf Missernten in Folge von Krankheit, Schädlingen und Wetterextremen. Die Folge waren Hungersnöte und Mangelernährung. Als Antwort darauf kam es zu rapiden Fortschritten in der Landwirtschaft, wodurch es zu steigenden Erträgen und einer effizienteren Nutzung der vorhandenen Fläche kam. Es gab sprunghafte Entwicklungen in der Technik, bei Düngung, Pflanzenschutz und Züchtung. Forschung und Ausbildung wurden professionalisiert und man fand immer wieder Antworten auf neu aufkommende Fragestellungen.

Die Ausgangslage hat sich heute nicht wirklich geändert. Die Bevölkerung steigt global weiterhin an, es gibt neue Schädlinge und Krankheiten, welche die Ernten bedrohen und die Auswirkungen des Klimawandels sind für alle offensichtlich. Die Reaktion darauf ist aber seit einigen Jahren eine andere als damals, wir erleben Rückschritt statt Fortschritt: pauschale Einschränkung von Düngung und Pflanzenschutz, der Rückgang der Zulassung von dringend benötigten neuen Wirkstoffen, das Bremsen im Bereich neuer Züchtungsmethoden und immer mehr Produktionsauflagen, welche die Eigenverantwortung der Betriebsleiter beschneiden und damit optimale Ergebnisse verhindern. So kommt es nicht von ungefähr, dass die Erträge der wichtigsten Kulturen in Deutschland derzeit stagnieren.

Ich möchte an dieser Stelle aber nicht falsch verstanden werden und stelle daher unmissverständlich klar, dass ich nicht zurück in die Vergangenheit möchte. Ich möchte aber, dass wir unser Potential nutzen. Die derzeitigen Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter sind so gut ausgebildet wie noch nie, der Erkenntnisstand der Agrarforschung ist so hoch wie noch nie und die vorhandene Technik in Verbindung mit der Digitalisierung bietet so viele Möglichkeiten wie noch nie. Wir haben den Werkzeugkasten, um auf die drängendsten landwirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich reagieren zu können, aber wir nutzen ihn nicht. Wir können die Produktivität auf der Fläche weiter steigern, gleichzeitig noch ressourcenschonender arbeiten – insbesondere mit Blick auf den unvermehrbaren Faktor Boden – und zusätzlich Raum schaffen für die notwendige Förderung der Artenvielfalt.

Leider sind die legitimen und vor allem notwendigen Produktionsziele in der Öffentlichkeit oft negativ besetzt. Ertragssteigerung wird gleichgesetzt mit Raubbau an den Böden zu Lasten der Nachhaltigkeit, Pflanzenschutz und Düngung werden als Schädigung der Biodiversität und des Grundwassers wahrgenommen. Entsprechende Studien, die hierzu grundlos Ängste schüren, sind dabei wenig hilfreich. Ich wünsche mir daher, dass die Errungenschaften der Landwirtschaft von politisch Verantwortlichen und in der Medienberichterstattung wieder mehr in den Fokus gerückt werden und das global herausragende Niveau der Lebensmittelerzeugung in unserem Land eine stärkere Würdigung erfährt. Nicht, um auf dem Status quo zu verharren, sondern die Branche zu ermutigen weiter innovativ zu sein, Lösungen zu finden und sich immer wieder weiterzuentwickeln. Dazu braucht es aber Vertrauen in die Menschen mit Verantwortung in der Grünen Branche, dass Sie nicht den Ast absägen, auf dem nicht nur sie, sondern auch nachfolgenden Generationen sitzen.

Ihr

Ökonomierat Eberhard Hartelt
Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd e.V.